«Eine Paraphierung ist aus Sicht des sgv nicht dringlich», wie sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler sagt. Der sgv erachte es als zielführender, die zeitliche Priorität zunächst der Begrenzungsinitiative zuzuweisen. Würde die Begrenzungsinitiative angenommen, erübrigt sich die Frage nach dem Institutionellen Abkommen sowieso. Wird sie abgelehnt, stärkt dies zweifellos die Personenfreizügigkeit. Die Paraphierung und Umsetzung des Abkommens könnten mit viel weniger Druck angegangen werden. Die Inhalte des Abkommens müssen – wo notwendig – präzisiert werden. Mit der Klärung der offenen Punkte und der Paraphierung soll der Bundesrat auch eine Auslegung des Abkommens vornehmen und sich diese von der EU bestätigen lassen.
Kritikpunkte am Abkommen
Der sgv hat folgende Kritikpunkte am Abkommen:
- Gemäss dem Vertragstext ist die Anwendung von Schweizer Recht im Prozess der Streitbeilegung ausgeschlossen. Das ist für den sgv nicht akzeptierbar. Das Schiedsgericht legt den Streit gestützt auf die Auslegung des EuGHs verbindlich bei. Die Schweiz und die EU würden in diesem Prozess nicht mehr auf Augenhöhe agieren. Vielmehr würde das für die kommenden Jahre bedeuten, dass die Schweiz faktisch gezwungen wird, EU-Rechtsanpassungen zu übernehmen, wenn sie nicht vor Schiedsgericht Einspruch erheben will.
- Die Unionsbürgerrichtlinie regelt den freien Personenverkehr in der EU. Im Vergleich zu den Regelungen im Freizügigkeitsabkommen ist sie bezüglich Sozialhilfe und Niederlassung grosszügiger. Die Hürden für Ausschaffungen liegen höher. Der Ausschluss der Unionsbürgerrichtlinie muss im Institutionellen Rahmenabkommen oder in einem Anhang dazu explizit aufgeführt sein. Andernfalls ist ziemlich sicher damit zu rechnen, dass die EU diese Forderung zu einem späteren Zeitpunkt einbringt.
- Staatliche Beihilfen können Subventionen, Steuererleichterungen oder staatliche Beteiligungen an Unternehmen sein. In den Kantonen sind sie relativ weit verbreitet. Die EU will ein Beihilfe-Verbot mit Ausnahmen. Zwar gibt es keine konkrete Beihilfe-Regelung im Rahmenabkommen. Es gibt aber Grundsätze, die definiert werden. Die Absichtserklärung, das Freihandelsabkommen von 1972 bezüglich der Beihilfen zu modernisieren, könnte sich als Einfallstor für Forderungen der EU entpuppen. Auswirkungen auf die Kantone sind unvermeidlich. Steuerrulings und gewisse Steuererleichterungen für KMU, die einige Kantone praktizieren, beispielsweise, würden unter die nicht zulässigen Beihilfen fallen. Jegliche staatlichen Beihilfen, die gewisse Unternehmen oder Industriezweige – u.a. auch die Tourismusförderung – unterstützen, wären mit den Regeln des Binnenmarktes nicht mehr vereinbar.
Nicht um jeden Preis
Aus wirtschaftspolitischen Überlegungen hat der sgv in der Vergangenheit die bilateralen Verträge mit der EU stets unterstützt und tut dies auch weiterhin. Der sgv unterstützt die Zielsetzung eines weitergehenden Zugangs zum EU-Binnenmarkt sowie Kooperationen mit der EU in ausgewählten Bereichen bei grösstmöglicher Eigenständigkeit und ist deshalb grundsätzlich offen für ein Rahmenabkommen.
Oberstes Ziel muss eine Gesamtschau und eine Abwägung zwischen den Inhalten bzw. Vorteilen des Rahmenpaketes und des Preises der Schweiz – die Einschränkung der eigenen Souveränität – für das Entgegenkommen sein. Entscheidend ist letztlich der Marktzugang der Schweiz zur EU mit vernünftigen Auflagen durch die EU und zu einem akzeptablen Preis. Zum Vertragstext eines Institutionellen Abkommens wird sich der sgv abschliessend dann äussern, wenn eine definitive Fassung vorliegt.