Fabio Regazzi, «die Mitte»-Nationalrat und sgv-Präsident beurteilt den aktuellen Vertragsentwurf zum Institutionellen Rahmenabkommen als nicht geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu erhalten. Bereits früh hätten die Wirtschaft und auch teilweise die Kantone verschiedene Elemente des vorliegenden Abkommens kritisiert. Die umstrittenen Punkte und Roten Linie für die Verhandlungen seien: Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs in der Streitschlichtung, die flankierenden Massnahmen für den Schutz des Arbeitsmarktes, die Unionsbürgerrichtlinie, die Regelung der staatlichen Beihilfen sowie die absolute Guillotine-Klausel.
Der Zugang zum Binnenmarkt der EU sei ein wichtiges Element für die Wettbewerbsfähigkeit, das sei unumstritten. Gleichwohl müsse der Zugang im richtigen Kontext bewertet werden. Er sei eines unter vielen Mitteln zur Erhaltung und Steigerung der Schweizer Positionierung. «Wenn aber die Sicherung des EU-Marktzugangs nur mit der Übernahme von teurer EU-Regulierung und gleichzeitiger Aufgabe Schweizer Trümpfe und Souveränität möglich ist, ist dies kontraproduktiv. In dieser Form laufen wir Gefahr unsere eigene Wettbewerbspositionierung zu verlieren», sagte Fabio Regazzi vor den Medien.
Auch eine einseitige Übernahme von EU-Recht, beziehungsweise eine einseitige Anpassung an EU-Recht, ohne dafür Zugeständnisse oder Gegenleistungen der EU zu erhalten, könne nicht akzeptiert werden. Gerade bei Projekten wie «Swisslex 2.0» beziehungsweise «Stabilex 2.0» stünden solche einseitigen Zugeständnisse an die EU im Vordergrund. Das Beispiel der Börsenäquivalenz habe aber gezeigt, dass solche Zugeständnisse von der EU noch lange nicht einfach übernommen würden.
Stockten die Verhandlungen zum Institutionellen Rahmenabkommen und damit zum Marktzugang, gebe es immer noch andere Möglichkeiten, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen, schloss der sgv-Präsident seine Ausführungen.
Vitalisierung des Binnenmarktes
«Ein geeignetes Institutionelles Abkommen ist nur ein Mittel, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu stärken. Der eigentliche Königsweg ist die Vitalisierung des Binnenmarktes in Kombination mit der internationalen Positionierung der Schweiz in einem kompetitiven Umfeld», erklärte sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler.
Das wohl effizienteste Mittel um die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität der Unternehmen zu fördern, sei für die Schweizer Wirtschaft die Einführung der Regulierungskostenbremse. Die Regulierungskostenbremse unterstelle Vorlagen, die besonders hohe Regulierungskosten auslösten oder mehr als 10 000 Unternehmen betreffen würden dem qualitativen Mehr im Parlament. Aktuell sei davon auszugehen, dass die Regulierungskosten jährlich um die 70 Milliarden Franken betragen würden. Die Unternehmen hätten keinerlei Einfluss auf diese Kosten und könnten sie oft nicht durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgleichen. Durch das Vermeiden unnötiger Regulierungskosten steige die Produktivität gesamtwirtschaftlich – ein Wachstumsprogramm aus eigener Kraft, das auch Arbeitsplätze schaffe und sichere.
Ein weiterer wichtiger Eckpunkt des Vitalisierungsprogramms sei die Anpassung des Arbeitsrechts an die Bedürfnisse des flexiblen Arbeitsmarkts. Der flexible Arbeitsmarkt sei einer der wichtigsten Standortfaktoren für die Schweiz er werde jedoch durch starre Schutzmassnahmen des Arbeitsgesetzes eingeengt. Gerade im Lichte einer immer digitaler und flexibler werdenden Arbeitswelt müsse das Arbeitsrecht entsprechend angepasst werden.
Weiter müsse bei den Sozialwerken unbedingt das Gleichgewicht wiederhergestellt werden indem ihre Leistungen auf ihre Finanzierung ausgerichtet würden. Erhöhte Lohnnebenkosten und höhere Mehrwertsteuern verringerten die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. Gleichzeitig müsse mit der Einführung einer Schuldenbremse in den Sozialversicherungen die langfristige Finanzierung gerade auch für kommende Generationen sichergestellt werden.
Die Schweiz sei bekannt für die hochqualitative Arbeit, die in unserem Land geleistet werde. Diese Besonderheiten der Schweiz gingen schwergewichtig auf die Berufsbildung zurück. Sie sei also zusammen mit der Höheren Berufsbildung essenziell für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft.
Als letzten Punkt erwähnte Hans-Ulrich Bigler die Digitalisierung, welche einen Wandel der wirtschaftlichen Strukturen auslöse und so zur Steigerung der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit beitrage. Das schliesse auch die Bereiche der Verwaltung mit ein. Freiheitliche Rahmenbedingungen seien zudem die wichtigste Voraussetzung, damit dieser Wandel zum Vorteil der KMU ausfalle. Insbesondere in der Digitalisierung gelte der Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit: «Was nicht ausdrücklich verboten oder gesetzlich geregelt ist, ist erlaubt», schloss der sgv-Direktor seine Ausführungen zu diesem Punkt.
Internationale Positionierung
André Berdoz, sgv-Vizepräsident gab zu bedenken, dass die Schweiz im Bereich Warenhandel, Investitionen, Forschung und Bildung ein interessanter internationaler Partner sei. Das biete Chancen für den weiteren Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. So könnten bestehende Freihandelsabkommen ausgehandelt oder bestehende modernisiert werden. Für die Schweiz sei als Nette-Exporteurin auch das Vereinigte Königreich als fünftgrösste Wirtschaft interessant.
Der sgv würde es auch begrüssen, wenn die Schweiz eine noch aktivere Rolle in der Diplomatie und in den internationalen Gremien einnehmen würde. Wichtig sei dabei, dass die Schweizer Diplomatie die Interessen der Schweiz als oberste Maxime vor Augen habe. Das bedeute: «Gute Dienste» müssen mindestens mittelbar entsprechende Gegenleistungen oder Zusicherungen erhalten.
Die Ausgaben- und Schuldenbremse sei Teil des Erfolgsmodells Schweiz. Der Steuerwettbewerb schaffe es, die Steuern relativ niedrig zu halten und dabei die Qualität der staatlichen Dienstleistungen zu steigern. Die Schweiz sei dabei nicht das einzige Land, das diese Elemente kenne. Eine Allianz ähnlich denkender Länder könne diese Anliegen in den internationalen Gremien platzieren und ihnen entgegengesetzte Bestrebungen blockieren.
Der sgv-Vizepräsident skizierte einen Weg, wie die Schweiz nach einem allfälligen Scheitern der Verhandlungen um das Rahmenabkommen mit der EU umgehen könnte. Dabei müsse in einem mittel- bis langfristigen Horizont gedacht werden. Der sgv fordere, dass das Freihandelsabkommen von 1972 modernisiert werde. Eine Modernisierung des FHA sei auch im Interesse der EU. Die Schweiz sei Kundin der EU, die Schweiz sei Nettoimporteurin verschiedener Länder, sie sei der 9. wichtigste Exportmarkt Deutschlands. Es sei nicht im Interesse der EU, diese Türe zuzuschlagen. Über das FHA sollte es möglich sein, Lösungen in den Bereichen Ursprungsregeln, Ursprungskumulierung, Zoll, Lieferformalitäten und Fracht zu finden sowie den freien Warenverkehr zu sichern.
Schlussendlich habe die Schweiz mit der «Kohäsionsmilliarde» ein Druckmittel, das es einzusetzen gelte. Es sei auch denkbar, eine Erhöhung des Beitrages für die Binnenmarktentwicklung in Aussicht zu stellen, um der EU Kompromisse abzuringen, beispielsweise zur Sicherung der Teilnahme an den Forschungsprogrammen.
«Sie sehen meine Damen und Herren, es gibt eine internationale Zukunft für die Schweiz, auch wenn die Verhandlungen zum vorliegenden Rahmenankommen scheitern sollten», schloss André Berdoz sein Referat.