Die Pandemiekrise sei ein Stresstest für das gesellschaftspolitische System Schweiz, für dessen Wirtschaft aber auch dessen politisches System, eröffnet sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler die Medienkonferenz. Eine Krise biete aber auch die Chance, Fehler zu beheben und so für die noch andauernde und zukünftigen Krisen besser gewappnet zu sein. Nur so könne der Stresstest in Zukunft bestanden werden, nur so könne die Resilienz wieder gestärkt werden.
Der sgv habe die Politik des Bundesrates aus diesem Blickwinkel evaluiert und müsse feststellen, dass die Politik der Bundesregierung einseitig nur gesundheitspolitisch ausgerichtet sei. Wichtige Faktoren wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik oder das Soziale würden nicht miteinbezogen. Er hielt namentlich in aller Deutlichkeit fest, dass das seco zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, wirtschaftspolitische Impulse zur Krisenbewältigung zu geben. «Vielmehr war es ein Totalausfall und wurde bzw. wird vom BAG beherrscht» sagte Hans-Ulrich Bigler vor den Medien. Diese Einseitigkeit führe zu unverhältnismässigen Massnahmen, zu einem für die Wirtschaft, die öffentlichen Finanzen und die gesamte Gesellschaft schädlichen Lockdown.
Die Logik des gezielten Schutzes sei hingegen eine Abwägung von Interessenkonflikten und falle damit verhältnismässig aus. Mit breitflächigem Testen, einem intensiven Impfprogramm und dem Contact Tracing würden die Ansteckungsketten unterbrochen und mit Schutzkonzepten würden Neuansteckungen verhindert. Dieses Prinzip habe das Eidgenössische Parlament klipp und klar in Art. 1 Abs. 2 bis im Covid-Gesetz festgehalten. Der Bundesrat sei aufgerufen, dieser Bestimmung in aller Konsequenz zu folgen. «Alle diese verhältnismässigen Massnahmen erlauben nämlich die Öffnung und die Rückkehr zu einem gesunden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben», betont sgv-Direktor Bigler.
Absurdes Mikromanagement und unrühmliche Rolle der Taskforce
Nationalrat und sgv-Präsident Fabio Regazzi sieht den Bundesrat getrieben von lähmenden Angstszenarien. Es würden absurde Massnahmen getroffen und Entscheide gefällt, deren Evidenz immer weniger nachvollziehbar seien. Der Bundesrat verstricke sich je länger desto mehr im Mikromanagement. Absurde und widersprüchliche Massnahmen seien die Folge.
Eine unrühmliche Rolle im Umgang mit der Pandemie spiele auch die wissenschaftliche Taskforce. Eine Rolle, die in unserem politischen System nicht vorgesehen sei. «Die Taskforce nehmen wir denn auch klar als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung wahr», meint Fabio Regazzi. Für die Task-Force, deren Mitglieder sich so gerne medial in Szene setzen würden, fehle die demokratische Legitimation vollständig. Die Taskforce führe eine eigene Homepage, veröffentlicht Positionspapiere zu irgendwelchen Themen und führe sich letztlich auf wie ein gewöhnlicher Lobbyist.
Führungsstruktur, Führungsrhythmus und Führungskontrolle des Bundesrates in der Pandemie bedürften dringend einer Korrektur. Den verhängten Massnahmen fehle oft die demokratische Legitimation. Deshalb müsse beim Ausrufen einer besonderen oder ausserordentlichen Lage künftig ein Bundesratsausschuss mögliche Zielkonflikte verschiedener Bereiche auffangen und mögliche Lösungen beraten. Zudem brauche es einen Führungsstab, in dem die Vertretung verschiedener Departemente, Bundesämter, Kantone und zivilgesellschaftlicher Anspruchsgruppen – insbesondere der Sozialpartner – sichergestellt sei.
Gewaltiger Nachholbedarf in Digitalisierung
Auch sgv-Vizepräsident André Berdoz geht auf die Probleme in der Krisenführung ein. Es brauche regelmässige Krisenübungen in der Bundesverwaltung und in den Kantonen – mit Beteiligung der jeweiligen obersten Kader. Erkenntnisse aus diesen Krisenübungen müssten dann auch umgesetzt werden.
Die Krise habe aufgezeigt, dass bei der Digitalisierung – insbesondere im Gesundheitswesen - ein gewaltiger Nachholbedarf herrsche. Aber auch die Digitalisierung der verwaltungsinternen Prozesse sowie der Informationsprozesse zwischen den Ebenen Bund und Kantonen seien heute absolut mangelhaft. Er verwies dabei auf die Probleme bei der Datenerhebung und –analyse, beim Contact Tracing und beim digitalen Impfpass. Durch Public-Private Partnership müssten diese Probleme rasch behoben werden. «Private können Digitalisierung – der Bund noch immer nicht», so André Berdoz.
«smart restart» statt Kosten in Zukunft verschieben
FDP-Nationalrätin und sgv-Vizepräsidentin Daniela Schneeberger hielt vor den Medien fest, dass der Schweizerische Gewerbeverband sgv schon im ersten Lockdown ein Instrument entwickelt habe, mit welchem die Abwägung der verschiedenen Ziele gewährleistet sei. Der Grundsatz des Konzepts «smart restart» sei vom Parlament aufgenommen, genehmigt und ins Covid-Gesetz geschrieben worden. Mit dieser Logik des gezielten Schutzes (testen, impfen, contact tracing und Schutzkonzepte) sei die sofortige Beendigung des Lockdowns und der derzeitigen schädlichen Massnahmen möglich.
Der aktuelle Härtefallmechanismus verdecke einen gewichtigen Zielkonflikt. Er täusche wirtschaftliche Normalität vor und setze somit Anreize für den Bundesrat, den Lockdown möglichst lange zu verlängern und für das Parlament, ihn widerspruchslos zu akzeptieren. «Die Kosten dieser Politik werden in die Zukunft verschoben», so Schneeberger.
Epidemiengesetz mit Revisionsbedarf
«Die Schweiz ist zum ersten Mal im Ernstfall der im Epidemiengesetz definierten Lagen. Wir sind sozusagen ohne Generalprobe mit dem Drama ‹Nationale Krisenbewältigung›» auf der Bühne, eröffnet SVP-Nationalrätin und sgv-Vorstandsmitglied ihr Referat. Es sei nun angebracht die Lehren zu ziehen und wo nötig Korrekturen einzuleiten.
Der sgv sei der Überzeugung, dass beim Ausrufen einer besonderen oder ausserordentlichen Lage ein Bundesratsausschuss konstituiert werden müsse. Damit das Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative gegeben sei, brauche es ebenso eine parlamentarische Delegation. Nur so seien Entscheide demokratiepolitisch abgestützt und die «checks and balances» gewährleistet.
Bei der Ausrufung der besonderen oder ausserordentlichen Lage müsse eine Zustimmung der parlamentarischen Delegation vorliegen. Auch beim Vernehmlassungsverfahren der Verordnungen verorte der sgv Revisionsbedarf. In einer besonderen Lage müsse dieses verkürzt werden. Der Kreis der zur Stellungnahme Eingeladenen könne eingeschränkt werden, wobei jedoch Kantone und Sozialpartner zwingend zu berücksichtigen seien.
«Wir werden diese Änderungsvorschläge gezielt in die parlamentarischen Beratungen einbringen», kündigt Nationalrätin Gutjahr an. In der Zwischenzeit und kurzfristig sei es jedoch unerlässlich, dass die gescheiterte Lockdownpolitik sofort beendet werde.