Die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) müssen als Verbundpartner in der Berufsbildung gestärkt werden. Akademische Angebote dürfen nicht bevorzugt werden und die Wirtschaft muss bei der Weiterentwicklung der Berufe mehr Freiheiten und Entscheidkompetenzen erhalten. Das sind zentrale strategische Forderungen des Bildungspolitischen Berichts des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv. Mit diesem will der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft nach dem gescheiterten Projekt Berufsbildung 2030 des SBFI die Strategiediskussion zur Berufsbildung wieder anstossen.
Digitalisierung, Globalisierung, Mobilität oder Migration wandeln die Gesellschaft und die Arbeitswelt. Das stellt die Berufsbildung vor Herausforderungen: «Die Weiterentwicklung der Berufe muss wieder vermehrt Sache der Organisationen der Arbeitswelt OdA sein. Sie sind es, die entscheiden, was ausgebildet werden muss und was prüfungsrelevante Punkte sind. Werden solche Entscheidungen durch staatliche Vorgaben gesteuert, beraubt sich die Berufsbildung ihrer zentralen Stärke. Sie entkoppelt sich vom Puls der schneller werdenden Entwicklungen in der wirtschaftlichen Realität. Die OdA müssen deshalb innerhalb der Berufsbildung gestärkt werden», fasst Pierre Daniel Senn, Vizepräsident des Auto Gewerbe Verbandes AGVS und sgv-Vorstandsmitglied die Grundforderung des Bildungspolitischen Berichtes des sgv zusammen.
Der Schweizerische Gewerbeverband sgv präsentiert strategische Forderungen zur Weiterentwicklung der Berufsbildung. Von links nach rechts: Pierre Daniel Senn, Hans-Ulrich Bigler und Marcel SchweizerDas Grundlagenpapier des sgv fordert die Kantone auf, den gymnasialen Weg nicht zu bevorzugen und die in der Verfassung vorgegebene Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung zu respektieren. «Die Anliegen der Organisationen der Arbeitswelt müssen ernster genommen werden», sagt Marcel Schweizer, Präsident des kantonalen Gewerbeverbandes Basel-Stadt. «Das beginnt in der obligatorischen Schule, wo wir eine Stärkung der Berufswahl wie auch der MINT-Fächer fordern», so Schweizer. Ein wichtiger strategischer Hebel sei die Verbesserung der Schnittstelle zwischen Schule und Arbeitswelt. Instrumente wie die Anforderungsprofile, welche angehenden Lernenden die konkreten schulischen Anforderungen in den einzelnen Berufen aufzeigen und auch direkt miteinander verglichen werden können, müssten unbedingt in allen Schultypen eingesetzt werden.
Der Schweizerische Gewerbeverband sgv fordert weiter Verbesserungen an der Schnittstelle zwischen OdA und Bund. Die Verakademisierung der Berufsbildung, steigende Bürokratie und der zunehmende Einfluss der Verwaltung schwächen die Berufsbildung. «Der Bund darf nicht durch starr formulierte Handbücher oder Leittexte des SBFI, den zwangsweisen Beizug von sogenannten Bildungsexperten oder durch unterschiedliche Umsetzungspraktiken in den einzelnen Kantonen die Freiräume der OdA einengen», sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv und FDP-Nationalrat. Bei Integrationsmodellen beispielsweise für Migrantinnen und Migranten aber auch bei Kompetenznachweisen für Jugendliche, die keine Berufslehre abschliessen könnten, würde der Bund noch zu oft mit einer eigenen politischen Agenda Einfluss nehmen, anstatt die Berufsbildung und die Arbeitsmarktfähigkeit in den Vordergrund zu stellen, so Bigler.
Mehr Unterstützung wünscht sich der sgv bei der Positionierung der Höheren Berufsbildung. So fordert er beispielsweise für Abschlüsse einer Höheren Fachschule oder Berufsprüfung mit Niveau 6 die englische Ergänzung Professional Bachelor oder für Meisterprüfungen mit Niveau 7 den Professional Master. Nur so können das hohe Niveau und die starke Position von Abschlüssen in der höheren Berufsbildung auch international entsprechend dokumentiert werden.