Unter dem Tagungsthema «Perspektiven und Horizonte» kombinierte die 72. gewerblichen Winterkonferenz in Klosters vielfältige Elemente und Denkanstösse:
«Klosters» ist wieder da: Am Mittwochabend, 12. Januar, eröffnete Nationalrat Fabio Regazzi, der Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, die 72. Ausgabe der Gewerblichen Winterkonferenz im bündnerischen Klosters. Im Vorjahr hatte die traditionelle, dreitägige Veranstaltung wegen der Covid 19-Pandemie nicht stattfinden können. Unter Einhaltung eines Schutzkonzepts und der aktuellen behördlichen Auflagen kann der diesjährige Event wie geplant über die Bühne gehen – neu in der Arena und nicht wie in früheren Jahren im Hotel Silvretta.
Zum Auftakt des Anlasses, der – trotz «Corona» – Diskussionen über aktuelle, gewerberelevante Themen sowie die Pflege von persönlichen Beziehungen und Networking ermöglichen will, wurde Regazzi vom Publizisten und «Nebelspalter»-Verleger Markus Somm in die Zange genommen.
Unter dem Tagungsthema «Perspektiven und Horizonte» kombiniert die 72. gewerbliche Winterkonferenz in Klosters vielfältige Elemente und Denkanstösse:
Am Donnerstag, 13. Januar wird alt Bundesrat Kaspar Villiger über die «Grenzen der Politik» nachdenken und der Publizist Beat Kappeler über den «Strukturwandel als Chance» referieren. Und Daniel Koch, der ehemalige Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» beim Bundesamt für Gesundheit, wird am Freitag, 14. Januar das Abschlussreferat halten.
Die Gewerbliche Winterkonferenz des sgv findet seit 1949 jeweils Mitte Januar in Klosters statt. An der dreitägigen Veranstaltung nehmen Spitzenvertreter der kantonalen Verbände und der Branchenverbänden teil. Der Anlass ist offen für alle: Verbandsvertreter und Mitglieder, Amtsträger, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie interessierte Personen. Die Teilnahme ist kostenlos.
Nach der Corona-Pandemie muss die vielgepriesene Solidität der Schweiz wieder aufgebaut werden. Dazu ist die Einhaltung der Schuldenbremse unabdingbar. Sie hat es erst ermöglicht, dass die Schweiz bisher vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen ist. Zu diesem Schluss kam der bald 81jährige frühere Bundesrat und Unternehmer Kaspar Villiger in seinem von viel Applaus begleiteten Referat an der Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters. Wohlstand sei nicht gottgegeben. Würden seine Grundlagen vernachlässigt, so drohe dem Land ein schleichender Verlust seiner Zukunftsfähigkeit.
Auch aus bürgerlicher Sicht sei ein starker Staat unverzichtbar, fand Villiger. Dieser müsse Freiheit, Wohlstand, Stabilität und Sicherheit garantieren.
Freiheit – sie sei an Verantwortung gekoppelt. Wohlstand – er müsse erarbeitet werden; Leistung müsse sich lohnen. «Die Meinung, es gebe eine natürlich begrenzte Menge an Wohlstand, die gerecht verteilt werden müsse, und wenn "die Reichen’" reicher würden, dann würden "die Armen" ärmer, ist totaler Unsinn, auch wenn dieser Irrtum von der Linken permanent gepredigt wird», sagte Villiger.
Stabilität – sie entstehe dort, wo Menschen die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse als «einigermassen gerecht» empfänden. Und schliesslich Sicherheit – sie umfasse nicht nur den Schutz vor physischer Gewalt, sondern auch einen sozialen Schutz. Sicherheit und Freiheit müssten laufend gegeneinander ausbalanciert werden. Ein erfolgreicher Staat könne nur entstehen durch das Zusammenwirken von staatlichen Institutionen, Zivilgesellschaft, Individuen und Marktwirtschaft.
Die Schuldenbremse sei leider nicht mehr unumstritten, so Villiger, doch es sei klar: «Dank ihrer relativ tiefen Verschuldung konnte die Schweiz die nötigen Mittel zur Bewältigung der Corona-Krise problemlos sprechen.» Sorgen bereiteten ihm die «erodierende Wertschätzung gegenüber der Wirtschaft», der schleichende Verlust von Standortvorteilen – der ehemalige Finanzminister plädierte für eine Abschaffung der Stempelsteuer – und die Tatsache, dass in Wirtschaftsfragen vermehrt nur noch «Zittersiege» zu verzeichnen seien. «Die Skepsis gegenüber der Wirtschaft nimmt zu – offenbar wird der Wohlstand als selbstverständlich wahrgenommen.» Die Wirtschaft befinde sich in einem «andauernden Abwehrkampf», während Karrierepolitiker den Milizgedanken pervertierten.
Geschwächt werde die Schweiz auch durch unnötige Regulierungen, wobei einzelne davon durch die Wirtschaft selbst herbeigeführt würden, sagte Villiger mit Blick auf die Fehlleistungen einzelner Manager. Diese schadeten der Glaubwürdigkeit. Durch das Vorleben einfacher Tugenden der Unternehmerkultur – Verantwortungsbewusstsein, auch gegenüber der Umwelt, Redlichkeit, Integrität, Vorbildwirkung – könne hier Gegensteuer gegeben werden. Den Kampf des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv für eine Regulierungsbremse nannte der höchst vitale alt Bundesrat einen «wertvollen Beitrag».
Villiger plädierte zudem für ein vermehrtes Zusammenstehen der Wirtschaft trotz teils divergierender Interessen: «Eine Zersplitterung hilft nur der Linken.»
Als Villigers Vorredner hatte Olivier Kessler für mehr Risikobereitschaft plädiert. Der Direktor des Liberalen Instituts machte eine Entwicklung weg von Eigenverantwortung und Orientierung am Individuum und hin zu Kollektivismus und Schwarmorientierung aus und meinte: «Eine Null-Risiko-Gesellschaft ist eine gefährliche Utopie. Stabilisierungspolitik führt zu noch grösseren Risiken – und damit zu noch mehr Staat.» Die Akzeptanz der Marktwirtschaft leide, und «die Krise heisst nicht Kapitalismus, sondern Interventionismus». Risiken einzugehen, müsse sich wieder lohnen, andernfalls gehe die Innovationskraft verloren und es drohten Systemkrisen, Instabilität und ein Verlust an Wohlstand. «Keine Chance ohne Risiken; kein Wohlstand ohne Unternehmertum», schloss Kessler seine Ausführungen.
Ein abschliessendes Podium mit vier Vertreterinnen von Jungparteien bot auf weiten Strecken nur wenig Erkenntnisgewinn – es sei denn jene, dass es Sinn macht, dass Menschen einen Beruf erlernen und arbeiten, bevor sie in die Politik gehen.
Traditionellerweise ist der Donnerstagmittag in «Klosters» dem Networking gewidmet. Bei wunderschönem Winterwetter und sehr kalten Temperaturen liess sich die bunte Gästeschar mit Pferdekutschen ins Gasthaus Höhwald transportieren. Kutschenfahrt und Lunch wurden vom Bündner Gewerbeverband offeriert. Die Gastgeber liessen sich nicht lumpen, und die Gäste genossen den gemütlichen Anlass, bevor gegen Abend der politische Teil der Winterkonferenz wieder aufgenommen wurde.
Unternehmer müssen flexibel und innovativ sein, Risiken eingehen und Chancen nutzen. Gerade in Krisen finden tiefgreifende Wandel statt. Die Digitalisierung ist beispielsweise ein Megatrend, der durch Corona gleich nochmals einen enormen Schub erhalten hat. Wie können KMU Strukturwandel unternehmerisch nutzen? Dieser Frage ging die Gewerbliche Winterkonferenz in Klosters am Donnerstagnachmittag nach.
«Strukturwandel ist ausserordentlich zähe, langsam und meist erst hinterher erkennbar», eröffnete Publizist und Ökonom Beat Kappeler sein Referat. In der Folge wählte er einige historische, aber auch aktuelle Beispiele aus, die zeigten, dass es durchaus Zeichen für Strukturwandel gibt und gegeben hat, man diese aber auch gerne übersieht. So hätten erhöhte Sterberaten den Zusammenbruch der UdSSR frühzeitig angekündigt. Mortalitäts- und Geburtenrate würden interessante Aussichten ermöglichen. «Demografie lügt nie, man muss diese Zeichen verfolgen», so Kappeler.
Gekonnt nahm Kappeler, dessen Referat den Schlusspunkt des Donnerstagsprogramms bedeutete, Themen seiner Vorrednerinnen und Vorredner auf: Plattformarbeit, Digitalisierung, Blockchains – und auch die EU kam einige Male zur Sprache. Was die Schweiz betrifft, so profitiere unser Land an sehr vielen Stellen vom Strukturwandel. Das sei nicht einfach nur Glück, sondern auch dem Pragmatismus der Schweizerinnen und Schweizer geschuldet. Kappeler schloss sein Referat mit den Worten: «Strukturwandel zum Guten.»
Es gebe nicht einfach den einen Wandel, meinte Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv: «Es ist nicht so, dass der Strukturwandel punktuell kommt und dann irgendwann vorbei ist. Die Wirtschaft befindet sich im ständigen Wandel.» Bigler diskutierte unter der Leitung von Nebelspalter-Chefredaktor Markus Somm mit swissstaffing-Direktorin Myra Fischer-Rosinger. Auf die Frage, ob der Strukturwandel nun eher eine Chance oder eine Gefahr darstellt, sagte Hans-Ulrich Bigler: «Unsere Aufgabe ist es, zu beobachten: Was machen die Unternehmen in der Digitalisierung? Denn der Wandel findet in den Firmen statt.» Als «erste Lehre» definierte Bigler, dass von der Politik kein Aktivismus kommen dürfe. «Bei neuen Geschäftsfeldern soll sich die Politik zurückhalten und nicht sofort mit Regulierungen intervenieren.»
Fischer-Rosinger sah es kritisch, wenn man sich zunächst einfach zurückhalte und abwarte. «In der Realität funktioniert dies nicht immer, weil Neues auch immer Ängste schürt. Deshalb reagieren Politiker mit Schnellschüssen, also mit Regulierungen.» Die Plattformarbeit existiere schon lange, die Flexibilität dieser Modelle werde aber dennoch als etwas Neues und als Gefahr wahrgenommen. «Wir haben deshalb ein anderes Mittel gewählt. Nicht auf die Politik warten, und erst dann korrigieren wir. Wir versuchen proaktiv aus unserer Branche heraus die Dinge selber zu regeln.» Moderator Markus Somm warf ein, dass die geschilderten Vorgehensweisen von Gewerbeverband und swissstaffing am Ende aber wieder das genau gleiche Ziel hätten. Ob man nun abwarte, um die Politik nicht auf den Plan zu rufen oder ob man proaktiv versucht, mögliche Regulierungen zu umgehen: Am Ende sei entscheidend, dass sich die Politik möglichst lange raushält.
Ihr Fett weg bekamen schliesslich auch noch die Gewerkschaften: «Die Gewerkschaften haben den Strukturwandel komplett verschlafen», teilte Fischer-Rosinger aus. Sie würden immer noch den Fabrikarbeiter vertreten, der stemple. Aber diese Arbeitnehmer gebe es praktisch nicht mehr. Hans-Ulrich Bigler ergänzte, dass sich die Zeiten geändert haben. «Diese moderne Arbeitswelt muss man im Arbeitsgesetz abbilden.»
Zuvor hatten drei Unternehmer sich und ihre Geschäftsmodelle vorgestellt. Adrian Steinmann, ein sogenannter Business Angel, plädierte für mehr Mut: Hinfallen sei keine Schande, nur das Liegenbleiben. Claudio Tognella präsentierte, was mit der Blockchain-Technologie alles möglich ist, zum Beispiel die Digitalisierung des bestehenden Aktienbuches und auf Knopfdruck schnell und günstig durchgeführte Kapitalerhöhungen. Und Michael Koller schaffte es mithilfe der Digitalisierung, seinem traditionellen Familienunternehmen einen modernen Touch zu verleihen.
Ob Appenzeller Traditions-KMU oder Blockchain-Startup – auch in der Wirtschaft gilt: Veränderung ist die einzige Konstante.
Von China ĂĽber Indien, die Ukraine, die EU bis in die USA reichte der Blickwinkel: Aussenwirtschaft war das Thema am Freitagmorgen an der 72. Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters.
ZDF-China-Korrespondent Thomas Reichart, Autor des Buches «Das Feuer des Drachen», zeichnete das Reich der Mitte als ein von wachsendem Selbstbewusstsein geprägtes Land, welches das Gefühl habe, bisher zu kurz gekommen zu sein. Es wolle ein aus der Kolonialzeit stammendes «nationales Trauma» überwinden und habe deshalb mit der Neuen Seidenstrasse ein Projekt zur Machtausweitung gestartet, dessen Ziel letztlich Europa sei. Den Karakorum-Highway bezeichnete Reichart als Teil eines imperialen Projekts mit dem Ziel, via Arabisches Meer, den pakistanischen Hafen Gwadar, den «deutschen» Hafen Piräus und den Balkan direkten Zugang zur Alten Welt zu erhalten. «China greift weit aus – und Europa öffnet ihm die Türen.» Chinesische Staatsfirmen würden an Macht gewinnen, das Land schotte sich wirtschaftlich zunehmend ab und die Macht der Kommunistischen Partei sei allumfassend. Auch im wirtschaftlichen Austausch mit China sei ein verschärfter Nationalismus zu erwarten, die zunehmende Aggressivität im Zeichen der «nationalen Erneuerung» – Stichworte: Hongkong, Taiwan, Tibet, Xinjiang ¬– wertete der Referent als «Wetterleuchten eines grösseren Konflikts».
China sei daran, seine Einflusssphäre auszuweiten. Das Land als strategischen Partner zu sehen, sei naiv. «Die diktatorische Partei ist daran, ihre Macht im Inneren wie auch nach aussen noch stärker durchzusetzen.» Die Schweiz verfüge dank demokratischen Strukturen und Innovationsfähigkeit dennoch über Mittel, ihre Stärken einzubringen. Unser Land müsse aber innovativ bleiben – und sich keinen Illusionen hingeben. «Die Propaganda erreicht auch die jungen Chinesen. Westliche Marken, westliche Musik sind in, westliche Werte zunehmend out.»
Lionel Schlessinger, Inhaber von Monopol Colours und Mitglied der Schweizerischen Gewerbekammer, ist als Farben- und Lackproduzent auch in Indien aktiv. Wer auf dem Subkontinent Geschäfte tätigen wolle, brauche vor allem Geduld und müsse sich vernetzen, um aus Fehlern anderer zu lernen. Das mit 1,4 Milliarden bevölkerungsreichste Land der Erde mit einer durchschnittlich 26,7 Jahre jungen Bevölkerung sei noch immer sehr arm, rund ein Viertel lebe in Slums. Die Migration in die Städte werde weiter zunehmen, Infrastrukturen wie Strassen der die Stromversorgung böten schon heute grosse Probleme. Das noch immer vom offiziell abgeschafften Kastensystem geprägte Indien habe viele Hausaufgaben nicht gemacht, seine Kapitalmärkte seien extrem reguliert, Zahlungsfristen bis 200 Tage die Regel, «Freundschaftsgeschenke» unausweichlich, die Bürokratie endlos, der Patentschutz eine Katastrophe – und dennoch habe das Land dank seiner jungen Bevölkerung viel Potenzial. «Indien ist kein brüllender Tiger, sondern ein mächtiger Elefant. Einmal in Bewegung, wird er kaum aufzuhalten sein.»
Martin Naville, CEO der Swiss-American Chamber of Commerce, lobte die USA – egal unter welcher Regierung – als ein Land mit Rechtssicherheit und nach wie vor grosse Chance für die Schweizer Exportwirtschaft. Die USA – «kein Land, sondern eine ganze Welt» – verfügten über einen Viertel der globalen Wirtschaftsleistung und einen Drittel der verfügbaren Exportmärkte für Schweizer Produkte. Wer in den USA investiere, steigere Gewinn und Resilienz, und die extreme Binnenmarktorientierung der USA steigere die Exportmöglichkeiten für die Schweiz ebenso wie die gigantischen Stimulierungsprojekte in Infrastruktur, Grüne Wirtschaft, Gesundheitswesen und Pharma – alles Gebiete, in denen Schweizer Firmen gut aufgestellt seien.
Zum Verhältnis der Schweiz mit ihrem wichtigsten Handelspartner, der EU, meinte Ökonom Martin Janssen: «Handel findet zwischen Firmen statt, nicht zwischen Staaten.» Nach dem Aus für das chancenlose Rahmenabkommen sei es wichtig, die komparativen Vorteile der Schweiz beizubehalten und den wirtschaftlichen Austausch mit der ganzen Welt zu verstärken. Dann dürften die Verhandlungen mit der EU in wenigen Jahren einfacher werden als heute.
Und schliesslich lobte der ukrainische Botschafter Artem Rybchenko die wirtschaftlichen Chancen, die sein Land – trotz aktueller Schwierigkeiten mit seinem grossen Nachbarn Russland – für Schweizer Unternehmen biete. 30 Jahre nach dem Beginn diplomatischer Beziehungen der beiden Länder seien die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen gut, und sie hätten Potenzial für einen weiteren Ausbau.
Zum Abschluss der 72. Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters hielt Daniel Koch auf der Madrisa ein Referat mit einigen Überraschungen. Der durch die Corona-Pressekonferenzen bekannt gewordene ehemalige Leiter übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) scheute sich nicht, klare Ansagen zu machen und ehrliche Antworten zu geben. So auch auf die Frage von sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler, weshalb denn anstelle der demokratisch legitimierten ausserparlamentarischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) – ihre Mitglieder sind ausgewiesene Experten und vom Bundesrat gewählt – die umstrittene Science Task Force eingesetzt wurde. Koch suchte gar nicht erst nach dem Warum: «Dass die ausserparlamentarische Kommission nicht eingesetzt wurde, war falsch.»
Unter dem Titel «Die nächste Krise kommt bestimmt», zeigte Daniel Koch auf, weshalb aus Problemen überhaupt erst Krisen werden und er arbeitete dies natürlich in erster Linie anhand der Covid-19-Pandemie auf. «Ich hoffe, ich sei hier nicht die Krise», eröffnete Koch heiter. In der Schweiz sei in der Covid-19-Pandemie «einiges nicht so gelaufen, wie es hätte laufen können». Eine Krise bedeute immer, dass es an etwas fehle. Zur Veranschaulichung zeigte er ein Bild der sinkenden Titanic. Hätte es genügend Rettungsboote gehabt und wären Besatzung und Passagiere besser geschult gewesen, dann hätte es womöglich gar keine Krise gegeben. Aber eben: In der Krise fehle es immer an etwas, «oft auch am menschlichen».
Bei Krisen gehe es nicht immer nur darum, wie man sie im vornherein verhindern könne, dies sei oft gar nicht möglich. «Kein Land der Welt kann diese Pandemie durchstehen, ohne dass sie zur Krise wird», gab Koch zu verstehen. Am Ende würden alle Länder betroffen sein. «Auch die, die bisher noch glauben, sie hätten die Krise verhindern können.» Er glaubt sogar, dass es gewisse Länder noch richtig hart treffen könnte. Dass China beispielsweise die Null-Covid-Strategie durchziehen könne, glaubt Koch nicht. Wie China und allgemein die asiatischen Länder «da rauskommen wollen, ist mir ein Rätsel». Es werde dort noch zu vielen Fällen und dadurch Ausfällen in der Wirtschaft kommen, da die Immunisierung zu wenig weit fortgeschritten sei.
Ein positiveres Bild zeichnete Daniel Koch für Nordamerika und Europa. Ende dieses Winters könnte die Lage «beherrschbar» sein, eventuell müsse man die Hochrisikopatienten nochmals boostern.
Dem Gesamtbundesrat erteilte Koch insgesamt gute Noten. Die Regierung und die Verwaltung hätten sich «wirklich reingekniet». Er monierte aber auch, dass man die Gesundheit der Leute nicht auf die Bekämpfung des Virus reduzieren könne. «Man kann nicht alles, was Business ist, weiterlaufen lassen und alles, was Freizeit ist, verbieten.» Er verwies dabei auf einen Auftritt von Alt Bundesrat Adolf Ogi in einer SRF-Talkshow, wonach mit der Freiheit auch die Freude eingeschränkt wurde. Dadurch leiden Zusammenhalt und Verständnis in der Bevölkerung.
Eine Vielzahl an statistischem Material untermauerte, was wir wissen, und was eben auch nicht. Wichtige Hinweise auf die Schwere einer Krise lassen sich gemäss Koch in den Zahlen zur Übersterblichkeit finden. So auch jetzt. Sein Fazit: «Dieses Virus tötet die Kinder nicht.» Ganz anders bei älteren Menschen: «Für ältere Leute ist dieses Virus gefährlich. Es tötet Leute.» Viel weniger hilfreich sind die Fallzahlen, erst recht im internationalen Vergleich. Es komme darauf an, wie viel getestet werde. In der ersten Welle wurde vom Testen abgeraten, stattdessen sollten sich Personen, die sich krank fühlten einfach in Isolation begeben. Dies hatte zur Folge, dass viele Fälle verpasst wurden. Ähnlich sei es auch jetzt: Steige die Positivrate über 4 Prozent, sei kein verlässliches Bild mehr möglich. Derzeit liegt die Positivrate in vielen europäischen Ländern zwischen 10 und 40 Prozent. «Man weiss nicht, wie viele Fälle wir verpassen.» Die Dunkelziffer dürfte aber gross sein. Weiter seien auch kaum Aussagen zu den Ansteckungsorten und über die Art der Verbreitung – Schmierinfektionen oder Aerosole – zu machen. Kochs persönliche Meinung und ehrliche Antwort dazu lautete daher jeweils gleich: «Man weiss es einfach nicht.»
In der Fragerunde wurden natürlich auch die Masken angesprochen. Er halte den Nutzen weiterhin für überschätzt, die Maske sei einfach «ein Hilfsmittel, es wird uns weder vor dieser noch vor der nächsten Pandemie retten». Dies sei weiterhin seine Meinung und es habe nichts damit zu tun, dass man zu Beginn der Pandemie zu wenig Masken gehabt hätten. Er erkannte weiter «ein Riesendefizit in der Digitalisierung in der Schweiz». Eine grundlegende Erkenntnis von Koch zum Ende des Referats lautete: «Krisen zeigen Schwächen auf, die schon bestehen.»